Erfahrungen mit rezeptiver Kunsttherapie und "Kunst als Therapie" in Museen mit Originalen und mit Kunstdrucken in der klinischen Praxis
(Stand: 10.11.2024)
Reclaim the Arts! - Jugendliche zeigen's Jugendliche, Ausflugstherapie zu Museen mit BewohnerInnen mit Wernicke-Korsakow-Syndrom, rezeptive Kunsttherapie im Rahmen von Multimodaler Schmerztherapie und Palliativmedizin
Ein Einblick in Bildern, Kurztexten und Artikeln.
"Daß wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen."
Karl Jaspers (1883-1969), dt. Philosoph. Vertreter der Existenzphilosophie
Ich liebe Kunst.
Sie zeigt mir immer wieder den Weg zum lebendigen und komplexen Leben auf, macht mich wach. Auch zum Guten, Wahren und Schönen - zur Kalokagathia - weiß sie mich zu leiten. Mein Studium der Geisteswissenschaften, besonders der Kunstgeschichte - zusammen mit der Psychologie und der Erziehungswissenschaften auf Magister an der Freien Universität Berlin (Abschluss als M.A. 2004, Freie Universität Berlin) - habe ich nie ganz sein lassen und vergessen können. Sie ist meine Basis und prägt mein komplexes Denken und Handeln bis heute.
Ich liebe den Dialog.
Ein kunsthistorisches Mentorenmodell - in den Museen Berlins bei Prof. Dr. Eberhardt König an der Freien Universität - zeigte mir schon früh auf, dass ich den Kontakt mit der Kunst und den Menschen im Dialog schätze. Auch, wenn ich heute als Kunsttherapeutin in Klinik arbeite, hat mich die Kunstgeschichte mit den Originalen in Museen (und anderen Arealen der Kunst) und die museumspädagogische Vermittlungsarbeit nie ganz losgelassen. Und ich merke immer mehr, wie gut sich Kunstgeschichte, dialogisch-performative Kunstvermittlung und Kunsttherapie ergänzen und bereichern können.
Rezeptive Kunsttherapie und "Kunst als Therapie"
In der Kunsttherapie nennt man die Arbeit mit bestehender Kunst von KünstlerInnen der Kunst- und Kulturgeschichte "rezeptive Kunsttherapie". "Rezeptiv" im Sinne von aufnehmen, sinnliches wahrnehmen, empfangen (lat. recipere: aufnehmen, als Gast aufnehmen, wiederbekommen). Kunst wird demnach sinnlich, und mit Raum und Zeit dafür, wahr- und aufgenommen.
Und den humanistisch-therapeutischen Ansatz "Kunst als Therapie" - nach dem Philosophen Alain de Botton - schätze ich dazu ganz besonders. Er fragt sich in seinem Buch "Wie Kunst Ihr Leben verändern kann" ("Art as therapy" mit John Armstrong, Suhrkamp 2017), welchen Sinn die Kunst hat und eigentlich für uns - als Mängelwesen Mensch - haben sollte. Er arbeitet sieben Funktionen der Kunst heraus, die uns Menschen wie einen Spiegel, für unser komplex-schwieriges Leben, von nachhaltigem Nutzen sein könnte:
Erinnern, Hoffnung, Leid, Wiedererlangung des inneren Gleichgewichts, Selbstverständnis, Wachstum und Anerkennung.
Er destilliert und essenziert aus Kunstwerken humanistisch-therapeutische und damit relevante Themen heraus. Ähnlich dem Prozess der Museumspädagogik, sich an komplexe Themen als Ausstellungen zu wagen, um ein eingängiges und inspirierendes Vermittlungsprogramm für Menschen jeden Alters zu erstellen. Und selbst gängige Ausstellungsformate nach Epochen und Stilen in den altehrwürdigen Galerien Alter und Neuer Meister dieser Welt, würden Botton und Armstrong nach lebensnahen Themen umgestalten (Galerien/ Themen: Leiden, Mitgefühl, Angst, Liebe, Wissen über sich selbst/ Selbstbewusstsein). Best practices, wie die experimentelle Zusammenarbeit de Bottons mit dem Amsterdamer Rijksmuseum von 2014, ermutigen zu mehr Experimentieren damit. Kunst darf uns Menschen zukünftig mehr angehen, weil sie uns persönlich etwas zu sagen hat. Und sich nicht weiterhin elitär, abgehoben und bildungsarrogant um sich selbst (und das immer gleiche Klientel) kreisen sollte. Das Humanistisch-Therapeutische gewinnt an Relevanz für uns Menschen.
"Die Menschheit zur Freiheit bringen, das heißt, sie zum Miteinander reden bringen."
Karl Jaspers (1883-1969), dt. Philosoph. Vertreter der Existenzphilosophie
Auf geht's.
Wie bekommt man Jugendliche ins Museum?
Direkt nach meinem Studium 2004 widmete ich mich einem besonderen museumspädagogisch-sozialtherapeutischen Projekt: Reclaim the Arts! - Jugendliche zeigen's Jugendlichen. Rückblickend möchte ich sagen, dass es für uns alle, die wir da mitgewirkt haben, ein fast kunsttherapeutisch-transformierendes Projekt war. Es hat uns nachhaltig geprägt und verändert. Wenn es nicht so schlecht bezahlt worden wäre - selbständige KunstvermittlerInnen wie auch KünstlerInnen haben es bisweilen schwer, finanziell Fuß zu fassen und von Ihrem Beruf zu leben - würde ich es sicher heute noch leiten. Es war einfach so schön (geistig) frei - Humor und Abenteuer als Lebendigkeit inklusive. Wie die Bande um die Rote Zora. Wir waren ein bißchen berühmt und berüchtigt. Im Folgenden eine Bilder-Collage, Artikel und mehr.
Medien, Artikel, Infos.
Ausflugstherapie mit BewohnerInnen einer Seniorenresidenz mit Wernicke-Korsakow-Syndrom
Sie waren begeisterungsfähig, oft versteckte Poeten und echte Melancholiker. Meine BewohnerInnen mit der Alkoholfolgestörung Wernicke-Korsakow, bei der v.a. das Kurzzeitgedächtnis eingeschränkt ist. Mit meinem Kollegen, einem Arbeitstherapeuten, konnte man solche tollen Projekte, wie die recreationale und revitalisierende Ausflugstherapie, auf die Beine stellen. Und auch eine Kollegin der Kunsttherapie arbeitete an der Vor- und Nachbereitung der Ausflüge mit. Nicht zu vergessen, die Pflegekräfte, die unsere Arbeit wohlwollend unterstützten. Wir erkundeten munter Museen wie u.a. die Alte Nationalgalerie und das Märkische Museum, fuhren ins Kloster Chorin oder erkundeten die Gärten der Welt. "Entspannen und Beleben" betitelte ein Bewohner treffend unsere gemeiname Arbeit. Es entstand ein großes Erinnerungs-Collagenbuch mit den ausgedruckten Digitalfotos, so manche Bilder-Ausstellung mitsamt Vernissage und heiter-stolzem Beisammensein, was man alles Abenteuerliches miteinander erlebt hatte. In der Zeitschrift für bildnerische Therapien Kunst & Therapie erschien dazu der Artikel "Quelle, Dill und Zuckerschote" - Ausflugstherapie als recreationaler Ansatz der Kunsttherapie (Drinking from the Wellspring; S. 23-35, 2021/2. Köln, Claus Richter Verlag; siehe Link unten).
Für PatientInnen mit chronischen Schmerzen
Für Mitarbeitende in Klinik (alle Professionen)
Rezeptive Kunsttherapie im Rahmen von Multimodaler Schmerztherapie "Blick-heben"-Tour - und der Mitarbeitendenraum in Klinik: "Raum zum Durchatmen" I. und II.
Im Rahmen von Multimodaler Schmerztherapie und auch im Mitarbeitendenraum "Raum zum Durchatmen", den ich das erste Mal 2020 in Klinik eröffnen durfte, nutze ich Bilder der Kunst und Kultur neben konkreten Räumen (Kirche, Raum der Stille etc.) und auch Originalen (in der Klinik, Campus etc.) um die Menschen anzuregen, zu inspirieren und Türen, für ein mehr an Möglichkeiten wahrzunehmen, zu öffnen (auch mit: Bildkarten, Symbolspielen, Zen-Gärtchen, Poster etc.).
Kleine Ausstellungen und Installationen vertiefen auch bestimmte Themen und Ideen (Wabi Sabi, meditative Fotografie/ Komorebi, schönster Urlaub, Kulturstädtetrips), zeigen KünstlerInnen und ihre Werke auf (Alte Meister: Frans Hals, Lieblingskunstwerke in Museen etc.) oder lassen einen Einblick in andere Länder und Kulturen zu. Wider den Tunnelblick, der leicht durch den eingeengten Blick durch chronifizierten Schmerz oder durch ein Stressmuster entstehen kann. Gemeinsam im Dialog gilt es, die Bilderwelt langsam und mit Bedacht, zu entdecken - Perspektiv- und Blickwechsel vorzunehmen. Wach zu werden für das besondere Objekt im Raum, das man sonst einfach übersehen hätte.
"Blick-heben"-Tour auf dem Campus kann Begeisterung wecken
In auch Zeit-Geschichte auf dem Campus einzutreten, um Themen herauszufiltern, die auch heute noch berühren und einem den Spiegel für unser vielgestaltiges Menschsein vorhalten, ist das Konzept der "Blick-heben"-Tour. Der sinnliche Blick weitet sich. Menschen fangen wieder an, mehr zu sehen und im Leben mehr Vielfalt wahrzunehmen. Die Reichweite und damit der persönliche Horizont vergrößert sich. Sie nehmen sich wieder mehr Zeit für die Kunst, und damit Zeit für sich und den eigenen Blick auf die Welt (Muße-Zeit). Treten ein in auch philosophisch-existentielle Fragestellungen, die gerade das Transzendente, das spirituelle Bedürfnis des Menschen ansprechen können.
Raum der Kunsttherapie mit Augen öffnenden Kunstwerken
Zwei Hauptwerke der Kunstgeschichte befinden sich in der Kunsttherapie als Poster/auf bedruckter Leinwand, die einen Kontrast bilden: "Der Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch (ca. 1503) und "Der Mönch am Meer" von Caspar David Friedrich (1810). Das Viele in der Übersicht (Gut/ Böse - Maß und Mitte etc.) bei Bosch und das Wenige, Reduzierte (Unendlichkeit, Melancholie, Stimmung/ Gefühl etc.) bei Friedrich.